"Longevity" oder auch "Healthspan", also die Verlängerung der gesunden Lebensspanne, ist längst kein bloßer Zukunftstraum mehr. Die Wissenschaft widmet sich intensiv den Mechanismen des Alterns und erforscht, wie sich Alterskrankheiten vermeiden und die Zellgesundheit erhalten lassen. Doch während die Forschung auf Hochtouren läuft, gibt es auch viele Mythen und fragwürdige Versprechen rund um das Thema „Langlebigkeit“.
Eine Expertin, die dieses Gebiet seit Jahren aufmerksam begleitet, ist Nina Ruge. Als renommierte Journalistin, Bestsellerautorin und Moderatorin setzt sie sich tiefgehend mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander und bringt Licht in die komplexen Zusammenhänge rund um das Altern. Ihre Interviews, Bücher und Podcasts zeigen eindrucksvoll, dass es beim Thema Longevity nicht nur um ein längeres Leben geht, sondern vor allem um die Qualität der gewonnenen Jahre.
In ihrem Gespräch mit dem Redakteur Norbert Gabrysch von "gesund in Braunschweig" beleuchtet Nina Ruge aktuelle Entwicklungen in der Longevity-Forschung, die entscheidende Rolle von Lebensstil und Umweltfaktoren sowie vielversprechende neue Therapieansätze. Zudem spricht sie über die Zukunft der Medizin, die Möglichkeiten, den Alterungsprozess zu verlangsamen, und die richtige Balance zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und realistischen Erwartungen.
Kann die moderne Forschung tatsächlich das Altern bremsen oder sogar rückgängig machen? Welche Maßnahmen sind heute schon für ein gesundes und vitales Altern empfehlenswert? Und welche Mythen sollten wir besser hinterfragen? Diese und viele weitere spannende Fragen beantwortet Nina Ruge in nachfolgendem Interview mit Norbert Gabrysch.
Frage Herr Gabrysch: Liebe Nina Ruge, (ein virtuelles) Willkommen in Ihrer alten Heimat Braunschweig. Sie sind hier zur Schule gegangen und haben an der TU Braunschweig Biologie studiert – haben Sie schon damals geahnt, dass Sie sich einmal mit dem Thema Longevity so intensiv beschäftigen könnten?
Antwort Frau Ruge: Herrliche Frage! Die Forschung zu den zellulären Alterungsprozessen, also zu den tiefen Wurzeln des Alterns, ist vor gerade mal 20 Jahren so richtig in Fahrt gekommen. Als ich als gerade 18-Jährige das Biologiestudium in Braunschweig begann, waren organische Chemie, Genetik, Zellbiologie große Themen. Aber was da im Alterungsprozess alles entgleist, die zellbiologischen Mechanismen des Alterns – das war Niemandsland.
Frage Herr Gabrysch: In unserem ersten Gespräch fiel mir gleich auf, dass Sie von der „Healthy Longevity“ sprechen, „healthy“ heißt ja gesund – es geht also nicht nur einfach darum, möglichst länger zu leben, sondern um das Älterwerden bei möglichst guter Gesundheit, oder?
Antwort Frau Ruge: Sie treffen den Nagel auf den Kopf! Ich komme gerade von einem der wichtigsten Kongresse auf diesem Feld zurück. Das ist der „Global Healthspan-Summit“ in Riadh, Saudi-Arabien. In seiner Eröffnungsrede sprach mir der Chef der veranstaltenden Stiftung, Dr. Mehmood Khan, aus dem Herzen. Er sagte: „Das Wort "Longevity" werden Sie auf diesem Kongress nicht hören. Hier geht es um "Healthspan", um die gesunde Lebensspanne. Wir setzen alles daran, dass die Menschen länger gesund leben. Weltweit. Nicht nur die Reichen.“ Die Sehnsucht der Menschheit nach Unsterblichkeit ist allerdings so groß, dass damit unter dem Etikett „Longevity“ unhaltbare Versprechen lanciert wurden – um Geld zu machen. Das schadet dem Anliegen der Wissenschaft. Und dieses Anliegen ist in erster Linie, Alterskrankheiten massiv in die Schranken zu weisen.
Frage Herr Gabrysch: Man merkt schnell – wenn man Ihre Podcasts und Interviews hört, Ihre Bücher liest, dass Sie das Thema "Longevity" sehr umfassend, oft auch mit einem wissenschaftlichen Blick angehen. Schaffen Sie es, für unsere Leserinnen und Leser kurz die wesentlichen Entwicklungen in der Longevity-Forschung zu beschreiben?
Antwort Frau Ruge: Die neue Dimension an Präzision der Forschungstechnologien gibt uns heute faszinierende Einblicke in die geniale Intelligenz unserer zellulären Regulationsprozesse und auch in die Mechanismen, wie das alles mit den Jahren leider ins Trudeln gerät. Derzeit ist die Forschung weltweit elektrisiert von Hinweisen darauf, dass es einige Mechanismen geben könnte, die den verschiedenen Deregulierungsprozessen der Alterung zugrunde liegen. Hat man die entlarvt, könnte man mit wenigen Therapieansätzen viele der Alterskrankheiten in die Schranken weisen. Denn Alterskrankheit kann uns nur heimsuchen, wenn zuvor so einiges an Zellgesundheit aus dem Tritt geraten ist.
Frage Herr Gabrysch: Wie unsere Gene das Altern beeinflussen, steht u. a. im Fokus der Longevity-Forschung. Wie alt wir werden, ist das nicht schon größtenteils individuell in unseren Genen festgeschrieben?
Antwort Frau Ruge: Derzeit gehen die führenden Wissenschaftler davon aus, dass wahrscheinlich nicht mehr als 10 bis 15 Prozent unseres Alterungstempos genetisch programmiert sind. Den Rest bestimmen der Lebensstil, Umwelteinflüsse wie UV- und Röntgenstrahlung, schwere Infektionen, Chemotherapien, gravierende psychische Belastungen etc. Wenn allerdings die meisten Mitglieder einer Familie sehr alt werden, hat das oft eine genetische Komponente – die allerdings selten auftritt. Was übrigens die Lebenserwartung unserer Spezies Mensch angeht – da ist die Wissenschaft derzeit der Meinung, dass wir die genetisch programmierte maximale Lebensspanne weitgehend erreicht haben mithilfe der modernen Medizin. Sollte es irgendwann möglich werden, die Killer der Menschheit wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Demenz komplett auszurotten, dann könnte das bis zu zehn Jahre mehr gesunde Lebensspanne bedeuten. Und dann könnten Zukunftstherapien wie epigenetische Reprogrammierung doch noch ein zusätzliches Plus rausholen.(Die Epigenetik untersucht, welche Faktoren unsere Gene und damit die Zellentwicklung beeinflussen; Anm. d. Red.) Aber das alles ist derzeit Zukunftsmusik.
Frage Herr Gabrysch: Im Vergleich zu den Genen spielen also der individuelle Lebensstil und die äußeren Einflüsse eine viel entscheidendere Rolle beim Altern?
Antwort Frau Ruge: Genau. Da sind offenbar zwei besonders starke Treiber des Alterns: zum einen die zunehmende Schädigung unserer DNA, vor allem Doppelstrangbrüche dieser genialen Helix unserer Gene. Zum anderen die Verschiebung der epigenetischen Muster der „Stoppschilder“ auf unserer Erbinformation, die bestimmen, welche Informationen ausgelesen und zu Proteinen, Enzymen gebaut werden und welche nicht. Wir verfügen über fantastische Reparatursysteme unserer DNA, aber die sind mit zunehmenden Schäden dann doch überfordert. Die Verschiebung der „Stoppschilder“ auf unserer DNA allerdings wird stark durch Umweltfaktoren getriggert. Gesunder Lebensstil verlangsamt das durchaus. Aber es wird auch intensiv an Therapien dazu geforscht, zum Beispiel in Form von „epigenetischer Reprogrammierung“.
Frage Herr Gabrysch: Aber das Altern ist doch – leider – ein natürlicher, in der Evolution festgeschriebener Prozess. Können wir diesen tatsächlich stoppen oder sogar umkehren?
Antwort Frau Ruge: Das Altern ist kein in der Evolution festgeschriebener Prozess. Es ist eher eine Form des Desinteresses der Evolution. Unsere Systeme sind genial ausgeklügelt zugunsten unseres Überlebens gebaut, solange wir Nachwuchs in die Welt setzen. Ab dem 25., spätestens 30. Lebensjahr könnten wir so viele Kinder bekommen und durchgebracht haben, dass der Erhalt der Spezies Mensch gesichert ist. Deshalb verfügen wir nicht über Systeme, die die Perfektion unserer Zellfunktion über einen längeren Zeitraum sicherstellen. Das wird nicht gebraucht für die Erhaltung der Art. Also beginnt das System gewissermaßen schleichend zu verwahrlosen. Reparatursysteme zeigen Schwächen, das Immunsystem verliert an Schlagkraft, die Energiegewinnung beginnt zu stottern, und aufgeräumt wird in den Zellen auch nicht mehr so gut. Alterskrankheiten machen sich breit. Nicht nur eine, sondern viele. Irgendwann kollabiert dann das System.
Frage Herr Gabrysch: Gibt es entscheidende Faktoren, die uns helfen, den Alterungsprozess zu verlangsamen, oder ist es eher die Vielzahl verschiedenster Dinge?
Antwort Frau Ruge: Genau daran wird ja fieberhaft geforscht. Auf der einen Seite sind die sogenannten „gesunden Lebensstilfaktoren“ durchaus tief erforscht. Wieso verlängert das Fasten die gesunde Lebensspanne? Weshalb wirkt pflanzenbasierte Ernährung vorbeugend gegen Alterskrankheiten? Lebenslanges Bewegungstraining schützt uns massiv vor Alterung – wieso? Dauerstress macht alt und krank, für positiven Stress gilt das nicht: Wir wissen heute sehr viel dazu, wie das bis auf Zellebene hinunter schützend funktioniert. Darüber hinaus haben wir jede Menge Erkenntnisse dazu, was an sogenannten „Interventionen“ helfen könnte, den Alterungsprozess zu verlangsamen.
Frage Herr Gabrysch: Gibt es vielleicht schon konkrete Mittel, die wir gegen das Älterwerden einnehmen können, wie z. B. die Diabetesmittel Metformin und Rapamycin? In großangelegten Tierversuchen konnten diese Medikamente das Altern von Mäusen ja deutlich verlangsamen. Oder ist es dafür noch zu früh?
Antwort Frau Ruge: Wenn ich die gesamte Palette der pflanzlichen Wirkstoffe, der körpereigenen Wirkstoffe, der Medikamente und Therapien vor Ihnen ausbreiten wollte, dann würde das jeden Rahmen sprengen. Sie sprechen sogenannte „repurposed drugs“ an. Also Medikamente, die zur Bekämpfung von Krankheiten entwickelt wurden und bei denen nach langem Gebrauch schützende und lebensverlängernde Wirkungen beobachtet wurden. Dazu gehören das Diabetes-Typ-2-Medikament Metformin und der Immunsupressor Rapamycin. Die sogenannte Abnehmspritze, GLP-1-Rezeptor-Agonisten, steht seit Neuestem auch im Verdacht, die gesunde Lebensspanne verlängern zu können. Aber Nahrungsergänzungsmittel wie NR, AKG, das gute alte Kreatin, auch Taurin und Urolithin A zählen zu den Hoffnungsträgern der gesunden Langlebigkeit. Zahllose Studien laufen.
Frage Herr Gabrysch: Noch ein konkretes Mittel, das gerade intensiver diskutiert wird, ist das Spermidin – es kommt in allen unseren Zellen vor, sichert deren Funktionalität und ist gerade ab dem Lebensalter 50 besonders wichtig für die gesundheitserhaltende „zelluläre Müllabfuhr“. Inzwischen gibt es Spermidin sogar als Nahrungsergänzungsmittel – was halten Sie davon?
Antwort Frau Ruge: Davon halte ich sehr viel. Spermidin ist geradezu universell im Tierreich. Es spielt eine tragende Rolle für die Zellreinigung und Mitochondriengesundheit, also für die Versorgung der Zellen mit Energie. Der Spermidinspiegel sinkt leider spätestens ab dem 40. Lebensjahr. Also macht es Sinn, den aufzufüllen. Allerdings ist es nicht ohne, zuverlässige Spermidinprodukte herzustellen. Und die bisher empfohlene tägliche Dosis war wohl zu niedrig. Aber Spermidin ist durchaus ein Hoffnungsträger. Es ist superspannend, was wir heute über seine genaue (epigenetische) Wirkung in unseren Zellen wissen!
Frage Herr Gabrysch: Ende März kommt Ihr neues Sachbuch „Ab morgen jünger! Wie wir länger jung und gesund bleiben“ heraus. Worum geht es darin, kurz gesagt?
Antwort Frau Ruge: Um genau das, worüber wir gerade gesprochen haben! Es ist mein fünftes Buch zum Thema gesunde Langlebigkeit und enthält alles, was neu ist – zu Nahrungsergänzungsmitteln, Medikamenten, Hormonersatztherapie, aber auch über die Zukunfstherapien kläre ich auf: Stammzellentherapien, Blutwäsche, Telomerverlängerung, Mitochondrientransplantationen, epigenetische Reprogrammierung. Doch keine Sorge: Ich erkläre das alles für den Laien verständlich. Schließlich war ich in Wolfsburg Lehrerin!
Frage Herr Gabrysch: Eine Frage zum Schluss: Energydrinks genießen nicht gerade einen „gesunden“ Ruf, aber das darin oft enthaltene Taurin finden Longevity-Enthusiast:innen schon gut – also doch hin und wieder einen Schluck davon nehmen?
Antwort Frau Ruge: Taurin finden wir in der Muttermilch und in allen tierischen Lebewesen. Die jüngste Studie der Columbia University legt enorme Potenziale des Taurins offen. Ich nehme es in Form von Kapseln. Zuckerbomben als Energydrinks sind eher kontraproduktiv.
Quellenverzeichnis:
1. Ruge, Nina. Ab morgen jünger! Wie wir länger jung und gesund bleiben. (Erscheinungsdatum: März 2025).
2. Global Healthspan-Summit, Riadh, Saudi-Arabien – Vortrag von Dr. Mehmood Khan.
3. Studien zur epigenetischen Reprogrammierung und Longevity-Forschung (diverse wissenschaftliche Veröffentlichungen).
4. Forschungsarbeiten zu „repurposed drugs“ (Metformin, Rapamycin, GLP-1-Rezeptor-Agonisten).
5. Untersuchungen zu Spermidin und dessen Wirkung auf die Zellgesundheit.
6. Columbia University – aktuelle Studie zu Taurin und dessen Potenzial in der Longevity-Forschung.
7. Interviews, Podcasts und Publikationen von Nina Ruge zu Longevity und gesunder Lebensspanne. Hier mit Norbert Gabrysch von Brunswick Publishers GmbH.
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